Kurz und knapp – Trainingsdogmen im Schwimmsport, USRPT und Moderner Fünfkampf

Das Training im Modernen Fünfkampf ist ein Paradebeispiel für Allokation bei begrenzten Ressourcen.

Selbst der hauptberufliche Athlet kann nur eine begrenzte Anzahl von Stunden pro Woche (je nach Sportart etwa 20 bis 40) trainieren: mehr geht nicht ohne die für den Trainingseffekt notwendige Regeneration zu gefährden.

Der Fünfkämpfer nun muss diese Zeit auf mehrere Disziplinen aufteilen. Während der professionelle Schwimmer also in der Regel etwa 60 bis 90km schwimmt, kann der Fünfkämpfer dieses nicht darstellen, ohne die restlichen Disziplinen zu vernachlässigen.

All diese Betrachtungen gelten natürlich auch für den ambitionierten Hobbyisten und Amateur, wobei dieser lediglich weniger Stunden zu verteilen hat.

Während alle Welt auf der Suche nach Abkürzungen und Life-Hacks ist, gibt es diese im wirklichen Leben natürlich nicht. Oder doch?

Wo liegt das Problem?

Womit wir beim Schwimmen und der Unzufriedenheit mit dem traditionellen Trainingsdogma wären. Hierzu nur ein kleiner Vergleich zwischen Läufern und Schwimmern, wobei wir die Vergleichbarkeit der Distanzen durch Multiplikation mit dem Faktor vier herstellen. Ein 100m Schwimmer (derzeitiger Weltrekord von Cesar Cielo mit 46,91s) entspricht also einem 400m Läufer (derzeitiger Weltrekord von Wayde van Niekerk mit 43,03s).

Hier nun ein typischer Trainingszyklus für einen Sprinter am Beispiel von Alexander Popov, dem Olympia Goldmedaillengewinner über 50 und 100m Freistil in Barcelona. Seine 40 bis 60km/Woche entsprächen einer Laufdistanz von 160-240km, deren Logik sich keinem seriösen 200m/400m Läufer erschließen würde (und welche selbst das Maß im Marathontraining übersteigt).

Popov

Was ist USRPT?

Als Reaktion darauf hat das Ultra-Short Race Pace Training (USRPT) in letzter Zeit an Popularität gewonnen. Entwickelt von Brent Rushall, einem Sportphysiologen an der San Diego State University, baut sein Konzept auf der Spezifität im Training: wer im Wettkampf kurz und schnell schwimmen möchte, sollte auch ausschließlich so trainieren. (d.h., kürzere Einheiten nur mit Wettkampf-spezifischen Geschwindigkeiten).

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum. Eine schöne, neue Trainingstheorie ist daher nur so gut wie ihre Ergebnisse. Glücklicherweise gibt es Michael Andrew, der seit Jahren von seinem Vater außerhalb des dominierenden College-Systems nach den Prinzipien des USRPT trainiert wird und damit über 100 Jugendrekorde (viele davon von Michael Phelps) gebrochen hat, mehrfacher Juniorenweltmeister und mit 17 Weltmeister auf der Kurzbahn über 100m Lagen geworden ist.

In einem freundlichen Podcast erzählt er nicht nur von seinem USRPT-Training sondern auch nette Anekdoten aus seinem jungen Leben.

Was bedeutet diese praktisch für den Fünfkampf?

Wie sähe also eine (illustrative) USRPT Einheit am Beispiel der 200m Freistil im Modernen Fünfkampf aus:

  1. Definition der Zielzeit/Bestzeit: 2:20s/200m
  2. Intervall: Gesamtdistanz geteilt durch vier, d.h. 50m
  3. Zeit: Zielzeit durch vier, d.h. 35s/50m
  4. Pause: 15-20s
  5. Gesamtserie: Wettkampfdistanz (hier 200m) mal vier, d.h. 800m oder 16 x 50m
  6. Abbruch: Wenn die Zielzeit überschritten wird, ein Intervall aussetzen; bei dreimaligem Überschreiten Abbruch der Trainingseinheit

Neben den spezifischen Vorteilen muss sich der Fünfkämpfer im Gegensatz zum Schwimmer auch keine Sorgen um die aerobe Grundausdauer machen, da diese durch das Training in den anderen Disziplinen, vor allem im Laufen. ausreichend trainiert wird.

Während die reine USRPT-Lehre hier manchmal etwas dogmatisch erscheint (kein Auf- und Abwärmen, kein langsam Schwimmen, kein Landtraining) ist Michael Andrew hier pragmatischer: über dem 25m Pool zu Hause hängen Klimmzug-Stange und Ringe (also doch Krafttraining) und nach der morgendlichen Einheit im Becken geht er regelmäßig 3 bis 6 Stunden Surfen (also doch Arbeit an der Grundausdauer, wenn auch nicht im Becken) bevor er Abends eine zweite Einheit einlegt.

Mein Fazit

Auszuprobieren

 

 

.

 

 

Die Geschichte der Zukunft: von der Schützengilde zum Laser-Schießen

Lange Zeit habe ich nicht verstanden, warum sich die Sportschützen so vehement gegen die Einführung der Laser-Technik im Schießsport wehren. Als Moderne Fünfkämpfer können wir diesen grundsätzlichen Widerstand nur schwer nachvollziehen, wo sich unser Leben seit der Einführung der Laser-Pistole doch so sehr vereinfacht hat.

Was haben die Schützen gegen die Laser-Technik?

Zur Illustration der Schützenposition hier der derzeitige Weltpräsident des ISSF Vladimir Lisin im Januar dieses Jahres auf die Frage, ob Laser nicht der richtige Weg wären, den Schießsport populärer zu machen oder sogar dessen Zukunft zu sichern:

I am negative about it, as well as about any substitutes imitating the original – it’s like non-alcoholic beer and silicone.

Inzwischen glaube ich jedoch, insbesondere die emotionale Komponente deutlich besser zu verstehen und möchte hier für eine positive Rolle des Lasers und gegenseitiges Verständnis werben.

Vorab jedoch zu dem vorgebrachten Argumenten gegen den Laser. Kritikern zu folge reduziert Laser-Schießen die notwendigen technischen Fähigkeiten des Schießens bis hin zur Unkenntlichkeit, da die Einflüsse von Wind, Regen, Rückstoß und Geräusch beim Abziehen fehlen.

Hier ein paar Zitate von Trainern und Athleten:

Laser pistols and rifles are too literal, too perfect. In some events such as the 50m, the shooter has to judge the wind speed, direction, etc. Those elements will be gone with lasers. We tried to explain this to the IOC.

Bullets are the real stuff. Not these lasers.

You’ll miss the boom when the trigger is pulled. You don’t want silent guns. It’ll be like car racing without the noise.

Welche positive Rolle könnte der Laser im Schießsport spielen?

Und hier mein Gegenargument entlang der klassischen Werbung für alkoholfreies Bier: nicht immer, aber immer öfter.

Das Ziel der Einführung des Laser-Schießens sollte nicht sein, die Luftpistole oder das Kleinkaliber zu ersetzen, sondern nur eine zusätzliche, sichere Möglichkeit zu schaffen, um die Eintrittsbarrieren zu senken und neue Formate zu ermöglichen (wie den Laser Run im Modernen Fünfkampf). Mal ehrlich: warum ist die Luftpistole denn so populär. Sie ist relativ günstig, zugänglich und nur leicht reguliert. Und gerade bei der 10m Luftpistole schlagen die Argumente Luft, Regen, Rückstoß und lauter Knall nicht so richtig an.

Vielleicht hilft sogar ein kleiner Blick in die Geschichte. Die 10m Luftpistole als seriöse Sportart selbst ist ziemlich neu. Erste Deutsche Meisterschaften wurden 1962 ausgetragen, Europameisterschaften 1969, Weltmeisterschaften 1974 und olympisch ist diese Disziplin erst seit 1988. Auch die beeindruckende Entwicklung der Waffentechnik bei der Luftpistole (ein Großteil davon aus Deutschland heraus betrieben hin zu heutigen Spitzenmodellen wie der Walther LP500) war in gewissem Sinne eine Reaktion auf ein strenges Waffengesetz nach dem Krieg. Hat die Luftpistole deswegen die freie Pistole als historisch wichtigem Wettkampf, der Vergleichbarkeit bis hin zu den Ursprüngen der modernen olympischen Spiele erlaubt, ersetzt oder einfach nur eine ganz andere, neue und nicht mehr wegzudenkende Disziplin erschaffen?

Die Schützengilden (wie auf Rembrandts Nachtwache) und das Schießen als Kulturtechnik sind alt, doch haben die Schützenvereine den technischen Wandel immer mit begleitet und gestaltet.

The_Nightwatch_by_Rembrandt

Was können wir aus der Einführung der Laser Pistole im Modernen Fünfkampf lernen?

Emotional braucht der Wandel Zeit und eine neue Generation. Dazu eine Geschichte aus unserem Fünfkampfverein, in dem wir (neben meist im Schrank ruhenden Luftpistolen verschiedenen Jahrgänge) zwei Generationen von Laser-Pistolen haben.

Die erste Generation sind mit einem Laser Emitter umgebaute Luftpistolen mit einer Druckluftkartusche, wohingegen die zweite Generation bereits spezifisch für den Fünfkampf entwickelte Laser Pistolen ohne die Altlast einer Kartusche sind. Nicht überraschend bevorzugen noch auf der Luftpistole ausgebildete Athleten und Trainer die traditionelle (und sehr schöne) Steyr auch deswegen, da sie beim Schuß noch ein echtes Geräusch macht. Jüngere Athleten jedoch kann man die Existenz der Kartusche und die Notwendigkeit der Befüllung mit Druckluft nicht mehr erklären.

Viel wichtiger aber sind die sich durch den Wandel des Wettkampfformates zum Biathlon ähnlichen Laser-Run ergeben haben. Eine neue Schießtechnik, die in vielerlei Hinsicht der Schnellfeuerpistole ähnlicher ist als dem Luftpistolenpräzisionsschießen. Neue Trainingsmöglichkeiten außerhalb des Schützenhauses auf dem Sportplatz und im Wald. Neue Herausforderungen durch sich wiederholende Anlaufen und Einrichten bei wechselnden Laufintensitäten, was neue Trainingsformate und Inhalte erfordert. Und keinerlei Probleme auch mit den jüngsten Athleten, die weiterhin mit der Laserpistole von klein an saubere Technik am Stand mit Präzisionsscheiben lernen. Nicht zuletzt haben sich auch für die Waffen selber neue Hersteller mit innovativen, neuen Konzepten wie Schnellladehebeln und einer ganz eigener Ästhetik etabliert (Beispiel FLP15 von Pentatshot).

 

 

 

Kleine Anatomie des Abziehens

Heute ein kleiner Ausflug in die Anatomie. Hauptsächlich besteht die hohe Kunst des Schießens darin, sich möglichst wenig zu bewegen (dieses ist keineswegs trivial, sondern körperlich höchst anspruchsvoll).

Allerdings gibt es Ausnahmen, weswegen wir auch von einem Bewegungsablauf beim Schießen sprechen: dazu gehört erstens das Heben der Waffe, welches eine relativ grob-motorische Aufgabe ist, deren funktionale Anatomie sich den meisten Sportlern relativ leicht erschließt.

Mindestens genauso wichtig für das Schießergebnis ist aber der Bewegungsablauf des Abziehens. Hier geht es darum, die notwendige Bewegung zur Überwindung des Abzugswiderstandes auszulösen. Dieses geschieht durch Krümmung des Fingergelenks des Zeigefingers. Hierbei gilt es, erstens die Bewegung in gerader Form entlang der Schusslinie nach hinten auszuführen und zweitens jede überflüssige andere Auslenkung (zum Beispiel im große Fehler verursachenden Handgelenk) zu vermeiden.

Wie funktioniert also das Krümmen des Fingergelenkes?

Dafür sind zwei verschiedene Muskeln zuständig.

Der Tiefe Fingerbeuger

Der größere davon ist der tiefe Fingerbeuger (Musculus Flexor Digitorum Profundus). Dieser ist ein relativ starker Muskel, der allerdings außerhalb der Hand tief am Unterarm sitzt und seinen Ursprung an dem Ellenknochen hat. Seine Sehnen verlaufen im Karpaltunnel und seine Funktion ist die Beugung der Fingerglieder allerdings – Achtung – ist er auch an der Beugung des Handgelenkes beteiligt.

flexor-digitorum-profundis
Quelle: Gray’s Anatomy 1918

Wie finde ich die Sehne des tiefen Fingerbeugers? Zeigefinger der linken Hand auf die Innenseite der Handfläche unterhalb des rechten Zeigefingers legen und rechten Zeigefinger abwechselnd beugen und strecken. Dabei sollte man mit dem linken Zeigefinger spüren, wie sich die Sehne des tiefen Fingerbeugers auf und abbewegt. Der Muskel selbst läßt sich an der Innenseite des Unterarms spüren. Vier Finger der linken Hand auf den rechten Unterarm Innenseite unterhalb des Ellenbogengelenkes legen und alle vier Finger (ohne Daumen) beugen und strecken, wobei man die Kontraktionen des Muskels am Unterarm spüren sollte.

Der tiefe Fingerbeuger ist ein starker Muskel, der zu viel mehr fähig ist, als dem Überwinden eines Abzugswiderstandes von 100g. So können Freikletterer (mit beeindruckend ausgeprägter Unterarmmuskulatur) fast das gesamte Körpergewicht an einer Wand nur mit ihren Fingern tragen.

Die Lumbricales Muskeln

Der zweite wichtige Muskelgruppe für das Beugen des Fingergelenkes sind die sehr viel zarteren Musculi Lumbricales Manus, die sich an der Innenseite der Hand selber befinden.

lumbricales_(hand)
Quelle: Gray’s Anatomy 1918

Diese sind besonders, da sie nicht wie andere Muskel ihren Urspung an einem Knochen haben sondern am tiefen Fingerbeuger, also einem anderen Muskel, selber. Auch werden sie vom gleichen Nerv wie der tiefe Fingerbeuger gesteuert.

Auch der Lumbricales läßt sich ertasten. Wieder den linken Zeigefinger auf die Innenseite der rechten Hand in der Grube zwischen Zeigefinger und Daumen neben der Sehne des tiefen Fingerbeugers auflegen, doch jetzt den rechten Zeigefinger allein im zweiten Gelenk beugen und strecken. Neben der Sehen sollte man eine relativ kleine muskuläre Kontraktion spüren können.

Warum ist das Ganze wichtig für meine Trainingspraxis?

Letztendlich soll das Abziehen nicht bewußt, sondern unbewußt und automatisch geschehen. Um aber dorthin zu gelangen ist es notwendig, das saubere Abziehen zu automatisieren.

Dem Standard Lernmodell für motorische Fähigkeiten folgend gilt es erst kognitiv, dann assoziativ und schließlich autonom/automatisch zu arbeiten.

  • Kognitiv haben wir jetzt gelernt, wie das ganze funktioniert und worauf es zu achten gilt.
  • In der nächsten Phase geht es darum, sich assoziative Merkposten zu schaffen. Mir hilft es dabei (ob dieses anatomisch wirklich so funktioniert, sei offen gelassen) sich auf die Lumbricales, also die Hand selber zu konzentrieren, um die Abzugsbewegung auszulösen und den Unterarm (also den tiefen und gefährlicheren Fingerbeuger) so entspannt wie  möglich zu lassen. Man versucht mit dem feinen nicht dem groben Muskel zu arbeiten.
  • Zum Üben und letztendlichen Automatisieren eignet sich sowohl das bekannte Trockentraining auf die weiße Scheibe (mit Konzentration auf das Abziehen) als auch das Trockentraining im dunklen Raum.

 

 

 

 

 

 

 

Mit Offenen Augen – Laser-Run Training

Heute ein kleiner Ausflug in in die Schießtechnik relevant für den Laser-Run zur Frage wie ich schießen soll: mit einem Auge oder beiden Augen offen.

Hier hat sich die Praxis des Schießens (nicht nur im Laser Run) in den letzten Jahren verändert, letztendlich aus dem wandelnden Verständnis des Aufbaus unseres Sehsystems.

Caveat emptor: Mein Bedürfnis ist es hier ein Technikleitbild für die eigene Trainings- und Trainerpraxis zu entwickeln und nicht individuelle Athleten für ihre spezifische Technik zu kritisieren (wer trifft hat immer recht und auf den Bildern sind nur Top-Athleten abgebildet).

Wo liegt das Problem?

Die meisten von uns haben ein dominantes Auge, d.h. sie bevorzugen die Signale eines Auges über die des anderen (etwa zwei Drittel bevorzugen das Rechte, etwa ein Drittel das Linke) doch kann die Dominanz unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

Nicht ohne Grund jedoch haben wir zwei Augen, denn das verschmolzene Abbild aus den unterschiedlichen Bildern des rechten und linken Augen ist für das räumliche Sehen notwendig. Würdest Du gerne nur mit einem Auge offen Skateboard fahren?

Welche Optionen gibt es?

Erst einmal aber erscheint es schwer, mit beiden Augen offen Kimme und Korn zu finden, weswegen sich drei Alternativen anbieten, um das Problem zu lösen:

  1. Die einfachste Lösung ist das eine Auge zu zukneifen und nur mit dem dominanten Auge zu fokussieren

    Laura Asadauskaite
    Quelle: tv3.it
  2. Die zweite Möglichkeit besteht darin, mit einer Blende das nicht-dominante Auge abzudecken (einer Möglichkeit, der sich auch Präzisionsschützen mit speziellen Schießbrillen gerne bedienen)

    CloeEsposito ABC News
    Quellen: ABC News Australia
  3. Die letzte Möglichkeit besteht darin, zu üben mit beiden Augen offen zu schießen (was sich lernen lässt)
Hamad UIPM
Quelle: UIPM

Was spricht also für und gegen diese Optionen?

  1. Das Auge zu zukneifen ist leider nicht nur die früher oft beigebrachte, sondern auch eine Möglichkeit mit echten Nachteilen, da sie Muskelkraft erfordert und einer entspannten Grundposition abträglich ist, die Symmetrie stört und außerdem ein bewusster Akt ist, den es unter erhöhter Stressbelastung zu erinnern gilt. Zudem (und sogar wichtiger) gibt man freiwillig Tiefeinformation aus dem anderen Auge auf.
  2. Diese Möglichkeit ist besser, da sie zu einer entspannteren Grundhaltung führt und außerdem noch Teile der Information aus dem anderen Auge zulässt. Gerade wenn Zeitdruck und sich schnell verändernde Rauminformationen kein Thema sind (wie zum Beispiel bei der 10m Luftpistole) aber auch beim Laser Run (mit Stirnband oder Brillenclip) ist es also durchaus eine legitime Option
  3. Am besten (aber auch am gewöhnungsbedürftigsten) ist es aber wohl mit voll geöffneten Augen zu schießen. Diese Methode wird gerade auch bei Spezialeinheiten, bei denen echte (und nicht nur sportliche) Belastungssituationen zu meistern sind, heute standardmäßig empfohlen

Wie kann ich trainieren, mit offenen Augen zu schießen?

Hier meine persönlichen Ideen und Tipps (mitten aus dem eigenen Lernprozess):

  1. Falls Blende, transparent und so schmal wie möglich, um Restinformationen so reichhaltig wie möglich zu halten
  2. Für Brillenträger: ausprobieren, die Sicht im nicht-dominanten Auge im Training nur leicht zu stören zum Beispiel indem man Brillenglas mit Labello bemalt oder nur sehr klein abklebt
  3. Ansonsten viel Trockentraining: Waffe immer wieder mal in die Hand nehmen und mit offenem Auge Visier finden

 

 

 

Mit Ruhigem Auge – Bedeutung des Quiet Eyes (QE) für das Laser-Run Training

Was ist das Quiet Eye (oder Ruhiges Auge)?

  • Das Ruhige Auge (QE) beschreibt die Beobachtung eines auf dem Ziel ruhenden Auges vor einer kritischen Bewegungsausführung von Höchstleistungsträgern in Sport, Chirurgie, Polizeidienst und bei anderen anspruchsvollen motorischen Aufgaben insbesondere denen, die unter Belastung ausgeführt werden.
  • Das Ruhige Auge beginnt vor der kritischen Phase der Bewegungsausführung (zum Beispiel dem Auslösen des Abzugs) und Studien aus verschiedenen Sportarten zeigen, dass dieses von höherer Dauer (mindestens 100 ms) und früherem Einsatz bei erfolgreicher Ausführung der Bewegung und bei Spitzenathleten ist
  • Das Ruhige Auge wird interpretiert als die notwendige Zeit für die neuronalen Netzwerke im Gehirn, sich zu organisieren, um die Bewegung kontrolliert auszuführen
  • Das Ruhige Auge lässt sich mit Gaze-Trackern unter Laborbedingungen testen (und trainieren)

Welches sind die fünf Bestandteile des Ruhigen Auges?

  • Die fünf Bestandteile sind laut Joan Vickers, die dem Phänomen und der dazugehörigen Theorie den Namen gegeben hat (1) optimaler Zielort der Fokussierung (2) Beginn (3) Abstand/Offset (4) Dauer und (5) Beginn relativ zur kritischen Bewegungsausführung

Warum ist das Ruhige Auge wichtig für das Verständnis des Laser-Runs?

  • Eine der entscheidenden Fragen im Laser-Run ist, was dazu führt, dass die Schießleistung auch unter extremer Belastung im Wettkampf hält
  • Eine entscheidende Studie aus dem Biathlon mit vergleichbaren Anforderungen hat gezeigt, dass die Schießleistung wie zu erwarten negativ mit der Herzfrequenz und der relativen Erschöpfung korreliert ist – wer erschöpft und angestrengt ist, schießt schlechter. Jedoch ist die Schießleistung positiv mit der Dauer des finalen Fokus auf das Ziel korreliert. Ein längeres Ruhiges Auge zeichnet diejenigen aus, deren Schießleistung auch unter höchster Belastung nicht zusammenbricht
  • Ähnliches lässt sich auch für Polizisten zeigen, die in einer bedrohlichen Situation unterscheiden müssen, ob der Gegner nur ein Telefon oder eine Waffe zückt und entscheiden müssen, ob sie mit einem Schuss antworten. Diejenigen Polizisten, deren Blick nicht wandert sondern auf der Hand des Gegners ruht, zeigen eine deutlich bessere Differenzierungsleistung

Was bedeutet das Ruhige Auge für meine Trainingsgestaltung im Laser Run?

  • Das ruhige Auge lässt sich trainieren – direkt mit einem Eye-Tracker und Feedback über Ziel und Dauer der Fokussierung aber auch indirekt über eine andere Philosophie der Anleitung
  • Konkret bedeutet dieses eine Anleitung zur Fokussierung des Auges statt einer Betonung der technischen Einzelelemente der motorischen Ausführung der Bewegung
  • Illustrativ hier die Stichworte für die Vergleichsgruppen in einer Studie, die traditionell technisch orientierte mit einer (im Ergebnis überlegenen) Quiet Eye Anleitung im Golfsport verglichen habenScreenshot (8)
  • Dahinter liegt die Idee, dass das Gehirn, wenn es denn die richtigen Informationen vom Auge bekommt, schon implizit weiß, was (motorisch) zu tun ist
  • Noch konkreter bedeutet dieses für das Schießtraining: den Fokus zu halten und zeitlich zu verlängern mag nicht nur die relative Betonung der Elemente (Motorik versus Fokussierung) verschieben, sondern macht auch eine eine Veränderung der Technik selbst notwendig
  • Hier zur Illustration (und leider nur als Screenshots aus einer Präsentation von Joan Vickers) die traditionelle Anleitung für Präzisionsschützen auf der ersten Seite mit Aufnahme von Kimme und Korn vor Hineinführen in den ZielbereichScreenshot (5)
  • Auf der zweiten Seite dann die tatsächliche Ausführung bei Spitzenathleten, die den Blick (auf der rechten Seite der Folie) nie vom Ziel nehmenScreenshot (6)

Was soll ich lesen, wenn ich mehr wissen will?

 

Sport und Pubertät (2/2): Evolution, Risikoneigung und Gruppenverhalten

Wie alle Eltern von Teenagern aus eigener Erfahrung wissen, verändert sich bei Kinder mit der Pubertät nicht nur das körperliche Aussehen sondern auch ihr Verhalten als Ergebnis von Reifungsprozessen im Gehirn.

6a3700854356e0f43c2bee802b94c604

Quelle: Harry Campbell

Was also passiert im pubertierenden Gehirn?

Im wesentlichen gibt es hier drei Systeme zu betrachten, die in genau dieser Reihenfolge ausreifen (Achtung: Reihenfolge merken, da diese für das Verständnis des Verhaltens äußerst wichtig ist) –  für diejenigen, die tiefer einsteigen wollen, hier ein guter Übersichtsartikel zum Thema:

  1. Zuerst reifen die kognitiven Funktionen (die neurobiologisch in der Großhirnrinde verankert sind) aus. Deswegen kann man mit sechzehnjährigen in ruhigen Minuten durchaus rational reden und sie sind in Differential- und Integralrechnung oft ihren Eltern mindestens ebenbürtig
  2. Mit dem Beginn der Pubertät bekommt auch das Belohnungssystem des Gehirns (das unterhalb der Großhirnrinde im Zwischenhirn verankert ist) einen Schub. Dieses System benutzt den Neurotransmitter Dopamin und die dopaminerge Aktivität ist unmittelbar nach Einsetzen der Pubertät für die nächsten paar Jahre so hoch wie nie vorher und nie wieder später im Leben. Deswegen auch fühlt sich nichts wieder je so gut an wie in der Jugend. Allerdings ist dieses System auch dafür verantwortlich, dass Teenager risikofreudiger sind und in insbesondere in Gruppen Gleichaltriger ganz schönen Unsinn anstellen – dazu später mehr.
  3. Erst später (am Ende der Teenager Jahre und in etwa mit Beginn der Volljährigkeit und in die früher zwanziger Jahre hineinreichend) reift dann das Kontrollsystem aus, welches in der Frontalrinde des Gehirns wohnt und über Planung und Impulskontrolle moderierend auf das System, das immer neue Belohnungen sucht, einwirkt.

Das Ergebnis ist also folgendes: Teenager haben eine höhere Risikoneigung (oder positiver ausgedrückt, eine stärkere Neugierde), welche sich leider auch in all den Dingen widerspiegelt, über die sich Eltern sorgen machen:

  • Verkehrsunfälle
  • Alkohol und Drogenkonsum
  • Jugendliche Straftaten
  • Ungeschützter Geschlechtsverkehr

Was ist die evolutionäre Begründung für dieses Entwicklungsmuster?

Ihre Teenager Kinder sind keine Fehler der Natur sondern im Gegenteil, das Ergebnis einer evolutionären Strategie, die viel Sinn macht. Auch heute lebt in uns (und unserem Gehirn) noch die Erfahrung aus den vielen Jahren, die wir als Jäger und Sammler verbracht haben

Im Wesentlichen müssen sich die jungen, jetzt Fortpflanzungsreifen Menschen von ihren Eltern lösen und sich nach draußen auf die Suche nach einem geeignetem Partner machen, da ihre Fruchtbarkeit etwa fünf Jahren nach Einsetzen der Pubertät ihren Höhepunkt erreicht. Doch da draußen ist nicht nur alles neu, es droht auch Gefahr von Wettbewerbern um den neuen Partner (und dem Löwen um die Ecke).

Deswegen ist die Risikoneigung bei Teenagern auch besonders groß in Gruppen Gleichaltriger (wie die meisten wahrscheinlich aus eigener Erinnerung an Dinge in ihrer Jugend, die so so heute nicht mehr tun würden, bestätigen können).

Natürlich kann man diese Risikohaltung auch ausbeuten, wie sich daran zeigt, dass die Menschen besonders gerne sehr junge Erwachsene in den Krieg schicken

Was bedeutet dieses für den Umgang mit Teenagern im Allgemeinen?

Risiko-suchendes Verhalten bei Jugendlichen ist gesund und sollte meiner Meinung nach gefördert werden.

Ganz wichtig: dieses Verhalten sollte in einem nicht Eltern- oder Erwachsenen-dominierten Raum sondern in der Peer-Group stattfinden dürfen.

Dabei sollten jedoch logischerweise solche Risiken vermieden werden, die längerfristig Schaden anrichten oder einen umbringen können. Deswegen also weiterhin öffentliche Verkehrsmittel und Führerschein erst ab 18 (nicht wie in Nordamerika ab 16).

Ein Wort hier zur Schule, welche als Ort, sich neu auszuprobieren allein nur wenig geeignet ist. Zwar gilt es auch die kognitiven Fähigkeiten (Mathematik) zu schulen, doch war das Leben als Jäger und Sammler deutlich interessanter als ein normaler Schultag und erforderte neben mehr sozialer und emotionaler Intelligenz auch eine viel breitere Basis an vom Gehirn gesteuerten komplexen Bewegungsmustern, die wiederum positiv auf das Seelenleben zurückstrahlen.

Warum also ist Sport der beste Ort, um seine Jugend-Jahre voll auszuleben?

  1. Sport findet in der Gruppe mit Gleichaltrigen statt – und diese Peer-Group hat riesengroße Bedeutung für die Entwicklung der Jugendlichen und ist positiv vorselektioniert
  2. Sport ist Wettkampf im positivsten Sinne – und Jugendliche haben ein Bedürfnis sich in der Gruppe zu messen
  3. Sport erlaubt einem Risikoverhalten im positiven Sinne auszuleben – wie weit kann ich im Training an meine körperlichen Belastungsgrenzen gehen, wie aggressiv soll ich einen Wettkampf angehen, wie gehe ich mit immer neuen Situationen um, welche coolen Moves kann ich noch lernen
  4. Sport insbesondere im späten Jugendalter appelliert an den kleinen Erwachsenen im Jugendlichen und schult seine Impuls- und Selbstkontrolle, die es bis zum echten Erwachsenen noch zu lernen gilt – Trainer und leicht wenig ältere Athleten können hier wichtige Vorbildrollen einnehmen
  5. Sport schafft Respekt beim und Attraktivität für das entgegengesetzte Geschlecht und erfüllt dabei eine nützliche evolutionäre Rolle

 

 

Sport und Pubertät: Von Jungen und Mädchen (1/2)

Eltern dürfen sich freuen, wenn sie ihren Kinder die Freude am Sport haben weiter geben können und sie im Gegensatz zu vielen anderen auch am Ende des Kinderalters und Beginn der Pubertät immer noch mit Begeisterung trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen.

Im ersten Teil möchte ich das Hirn (mit welchem ich mich im zweiten Teil beschäftige) außen vor lassen und  mich nur mit Herz und Muskel (plus Skelett) beschäftigen.

Dabei geht es mir wie immer darum, praktische Tipps für Eltern, Trainer aber vor allem auch die jugendlichen Athleten selbst zu entwickeln.

Was ist die Pubertät?

Die Pubertät ist der der Beginn der Geschlechtsreife beim Übergang des Kindes zum Erwachsenen. Dieser ist nicht nur mit hormonellen Veränderungen (vor allem der Ausschüttung der Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron) verbunden sondern ist selbst auch hormonell gesteuert. Hierbei kommt dem Wachstumshormon hGH (human growth hormone) oder Somatotrophin die zentrale Bedeutung zu, da es für den Wachstumsschub der Knochen und deren Mineralisierung verantwortlich ist.

Tipp 1: Der maximale Wachstumsschub (Peak High Velocity) ist nicht nur mit einem Zentimeter-Band und einer Waage einfach messbar, sondern sollte unbedingt auch gemessen werden, damit sie wissen, wo ihre Kinder/Athleten zur Zeit stehen (für Mädchen: die PHV geht der ersten Regelblutung um etwa 6 Monate voraus). Chronologisches Alter wird den Kinder zwar in jedem Wettkampf wieder vor Augen geführt, ist aber für die langfristiger sportliche Entwicklung völlig irrelevant. Versuchen sie dieses unbedingt regelmäßig ihren um einen Kopf kleineren Kindern zu erklären.

Figure-1-Human-growth-height-per-month-from-ages-0-18-years-in-the-50th-percentile

Quelle: Science for Sport

Was bestimmt den Beginn der Pubertät

Insgesamt ist für den Beginn der Pubertät (insbesondere bei Mädchen das Alter bei der ersten Regelblutung) zusätzlich durch die Hormone Leptin, Insulin Growth Factor (IGF) und die mTOR Signalenzyme positiv kontrolliert. Leptin ist ein Hormon des Fettgewebes (das „Sättigungshormon“) und ein zu geringer Körperfettgehalt verzögert die Pubertät. Ebenso messen sowohl IGF als auch mTOR den Energiehaushalt in den Zellen und geben nur das ok für weiteres Wachstum, wenn genügend Kalorien verfügbar sind. Beiden kommt deswegen nicht nur beim Muskelwachstum beim Erwachsenen (Hypertrophie) sondern auch der Geschlechtsreifung eine hohe Bedeutung zu: sowohl mehr Muskel (hoher Grundumsatz) als auch eine potentielle Schwangerschaft sind (metabolisch) teuer und man muss sie sich erst einmal leisten können.

In gleicher Weise ist intensiv betriebener Sport mit einem späteren Beginn der Menstruation korreliert – wahrscheinlich wegen eines geringeren Körperfettanteils bei Athleten und einer durch intensives Training immer wieder gesetzten akuten Energiemangels. Ausnahme: Schwimmen, welches keinen verzögernden Effekt zu haben scheint

Tipp 2: Sehen sie, das ihre Kinder/Athleten und hier insbesondere die Mädchen genügend und vor allem Proteinreich essen. Ausreichende Reserven sind nicht nur für den Einsatz der Pubertät sondern auch für die dann einsetzenden körperlichen Veränderungen unabdingbar, vor allem das Knochenwachstum und die Knochendichte. Missachtung ist insbesondere bei Läuferinnen ein riesiges Problem mit schwerwiegendsten Spätfolgen wie zum Beispiel Osteoporose im jungen Erwachsenenalter.

1477-7827-8-115-1

Quelle: Determinants of Menarche

Welche Veränderungen der sportlichen Leistungsfähigkeit bringt die Pubertät mit sich?

Hier gilt es zwei Dinge zu unterscheiden:

  • ersten die grundsätzlichen Veränderungen, die mit dem Wachstun einhergehen und eine riesige Chance für das Training bei Jungen und Mädchen sind (Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit profitieren alle)
  • zweitens die sich in der Pubertät ausbildenden geschlechtsspezifischen Unterschiede, die dazu führen, das Männer und Frauen in allen Sportarten sich in separaten Wettkämpfen vergleichen (wobei vor der Pubertät zum Beispiel die Mädchen oft den Jungen davon schwimmen)

Der erste Punkt bedeutet, dass die Pubertät für das Training ein ideales Fenster darstellt, um zum Beispiel gezielt Kraft und Ausdauer zu trainieren nachdem das motorische Fundament vorher gelegt worden ist.

Der zweite Punkt hingegen bedeutet, dass Jungen nicht nur schneller als Mädchen schneller werden, sondern das die Mädchen manchmal sogar langsamer werden. Dieses ist insbesondere bei Mädchen in den Laufdisziplinen ein großen potentielles Problem, falls Eltern/Athleten/Trainer dieses nicht ausreichend verstehen und den Athleten entsprechen beibringen. Der sich ausbildende höhere Körperfettanteil bei Frauen ist aus rein läuferischer Sicht passive Masse, die es zusätzlich mit sich herum zutragen gilt.

Ebenso ist das Knochenwachstum bei Frauen nicht wie bei den Männern vorwiegend in die Höhe gerichtet, sondern im Hüftknochen auch in die Breite, was aus biomechanischer Sicht für das Laufen nachteilig ist. Zwar wirken zunehmende Kraft (vor allem bei den Sprintdistanzen) und kardiovaskuläres Wachstum hier kompensatorisch, doch bleibt die (potentielle) Frustration, warum man trotz Trainings nicht schneller wird.

Tipp 3: Nehmen Sie unbedingt jegliche Warnzeichen wahr, wenn sich Mädchen im Sport den prä-pubertierenden Körper zurück zu hungern versuchen, sprechen sie diese Essstörungen an und suchen Hilfe. Erklären sie die Veränderungen und betonen sie die neuen Chancen (zum Beispiel im intensiver betriebenen Krafttraining bei Mädchen/Frauen)

Quelle: Quelle8db169d2-e52b-4585-bfdf-7b3872516924

Quelle: The long-term athlete development model: physiological evidence and application

Im nächsten Teil werde ich dann die neurobiologischen Veränderungen während der Pubertät und deren (positive) Auswirkungen auf die sportlichen Entwicklung erläutern.

 

 

Der Masters-Athlet: Die große Verwechslung zwischen Altern und körperlichem Missbrauch

Ein Geständnis vorweg: ich treibe gerne und viel Sport und bin auch als Trainer im Jugendbereich tätig. Außerdem beschäftige ich mich gerne theoretisch mit den Dingen, die mich begeistern und versuche, soviel wie möglich darüber zu lernen, was andere schon herausgefunden haben.

Rechtzeitig zu meinem drohenden fünfzigsten Geburtstag fing ich also an, mich mit dem Thema Altern im Sport zu beschäftigen und war zuerst einmal enttäuscht. Bei Trainerfortbildungen zum Thema Altern und Sport, die ich besuchte, ging es nicht vorwiegend um Sportler wie mich und meine Freunde (teilweise deutlich älter) sondern um multimorbide Alte, die ganz andere Probleme hatten und die sich jedenfalls nicht als Athleten definieren. Hierbei ist nichts löblicher als dieser Klientel sanft die Bewegung näher zu bringen, doch ist dieses weder mein Interesse, noch hilft es mir dabei, ein Trainingsprogramm für das optimale Altern zu entwerfen.

Deswegen möchte ich als allererstes mit dem meiner Ansicht nach größten Missverständnis im Alterssport aufräumen: vieles von dem, was wir bei alten Menschen sehen, ist nicht echtes Altern, sondern lediglich das sich über Zeit einstellende Ergebnis von körperlichem Missbrauch. Alter ist hierbei nur eine zufällig korrelierte Variable aber keineswegs die Hauptursache für die beobachteten Phänomene.

Der multimorbide Alte ist in der Regel Insulinresistent mit all den dazugehörigen Folgen (übergewichtig, hoher Blutdruck, Diabetes), gebrechlich (Osteoporose, Muskelschwund) und ist ein treuer Konsument des medizinisch-pharmazeutischen Komplexes.

Die Gründe hierfür liegen natürlich vorerst in der falschen Ernährung und der fehlenden Bewegung über viele Jahrzehnte und nicht im Altern selbst – das Alter erhöht nur die Zeit, die man diesem Missbrauch ausgesetzt ist.

Sehen wir uns zum Beispiel an, weswegen ich die oft verbreitete Sicht auf den Altersbedingten Muskelschwund revidieren musste. Meist wird der Muskelschwund oder Sarkopenie, als unausweichliche Begleiterscheinung des Alterns vorgestellt und uns erzählt,  wir kämpften gegen den Zahn der Zeit aber hätten eigentlich schon verloren, da Sarkopenie gegeben sei. Um zu sehen, ob dieses wirklich stimmt sind Studien an Masters-Athleten, also hoch motivierten Individuen, die auch im Altern noch mit dem Ziel der Wettkampfteilnahme trainieren, ein ideales Studienobjekt, schließlich müssten auch sie mit zunehmendem Alter – wenn auch verlangsamt – unter Muskelschwund leiden.

Doch zeigen Studien an Masters-Athleten das Gegenteil. Hier zum Beispiel eine Studie, die die Muskelmasse von 40 bis 81 jährigen Master-Athleten denen einer gleichaltrigen aber bewegungsarmen Vergleichsgruppe gegenübergestellt.

Wie wir schnell sehen, zeigt der 70 jährige Triathlet im Gegensatz zu seinem 74 jährigen Kollegen ohne sportliche Ambitionen keinerlei altersbedingten Muskelschwund (Sarkopenie).

Screenshot_2018-09-20 18_Wright indd - 6c632d4a0280282226b3f8588f0cee7ea39e pdf

Zwar gibt es bei vielen anderen Parametern, wie der maximalen Sauerstofftransportkapazität (VO2max) und der maximalen Herzfrequenz auch bei bestem Trainingszustand abnehmende Werte mit zunehmendem Alter. Doch in vielerlei Hinsicht sind die Masters-Athleten ihren trainierten jüngeren Sportkollegen ähnlicher als der jungen aber bewegungsarmen VergleichsgruppeUntitled2Wir beginnen also auch zu sehen, dass es echtes Altern selbst bei bestem Trainingszustand gibt. Dafür braucht es auch keine Wissenschaft, denn niemand würde – trotz der beeindruckenden sportlichen Leistungen – einen Masters-Athleten schon rein äußerlich mit einem jungen Athleten verwechseln.

Worin bestehen nun die (echten) Alterungsprozesse? Im Wesentlichen handelt es sich hier um drei große (und miteinander verwobene) Themenkomplexe:

  • Hormonelle Veränderungen: Menopause, verringerte Libido, abnehmendes Produktion anaboler Hormone
  • Akkumulierte Zellschäden (umweltbedingt aber teils auch programmiert): Falten, Altersweitsichtigkeit, Hörverluste, graue Haare
  • Verringerte Fähigkeit zur DNA- und Zellreparatur: Langsamere Wundheilung, verkürzte Telomere

Wenn wir nun wissen wollen, wie sich diese (echten) Alterungsprozesse auf die sportliche Leistungsfähigkeit im Alter auswirken, erfüllen Masters Athleten hier eine wichtige Rolle.

Erstens haben sie ein Ziel (nämlich sportliche Höchstleistungen), welches sie hoch priorisieren und deswegen anderes unterordnen. Deswegen ist davon auszugehen, dass diese sich nicht nur ausreichend bewegen sondern auch genug schlafen und sich gesund ernähren.

Zweitens ist wegen der Objektivierbarkeit der messbaren Leistungen durch den sportlichen Wettkampf eine ideale Vergleichbarkeit vorhanden. Masters Athleten sind also das ideale Studienobjekt für optimales Altern.

Wie also sieht die sportliche Leistungsfähigkeit unter optimalen Bedingungen im Alter aus.

Zuallererst fällt auf, wie beeindruckend die Rekorde der heutigen Masters im historischen Vergleich sind.Untitled3

Danach stellt sich die Frage, wie schnell die Leistungsfähigkeit mit dem Alter abnimmt.

Hierbei ergibt sich eine einfache Funktion, die über alle Sportarten hinweg konstant zu sein scheint. Der altersabhängige Verfall ist bis etwa zum 70ten Lebensjahr linear aber relativ schwach, um anschließend sehr viel steiler ab zufallen.

Anbei zwei Beispiele, eines mit altersabhängigen Rekorden aus dem Schwimmen (50 und 1500m) und eines aus dem Laufen (10km) :

Dabei sind Rekorde nur eine Seite der Medaille, die andere ist die Streuung der Leistung innerhalb einer Altersgruppe, die natürlich so hoch ist, dass es immer Überschneidungen zwischen den Altersgruppen gibt. Um es noch ein wenig praktischer auszudrücken: Alter als alleinige Variable zur Vorhersage für sportliche Leistungen ist relativ schwach.

Doch gibt es folgenden systematischen Zusammenhang, der in folgender Abbildung dargestellt ist:

  1. Die maximale Sauerstofftransportkapazität (als Stellvertreter Größe für sportliche Leistungsfähigkeit) nimmt tatsächlich bei allen Menschen mit dem Alter ab
  2. Die Sportler zeigen etwa gleichen Abfall aber starten (und enden) mit einem höheren Wert
  3. Masters-Athleten kaufen sich damit im Vergleich zu Freizeitsportlern und untrainierten Jahrzehnte an Lebenszeit. Ein Masters-Athlet mit 60 ähnelt im Durchschnitt eher einem Freizeitsportler mit 40 oder einem bewegungsarmen Menschen mit 25 Jahren

Screenshot_2018-09-21 Meta-analysis of the age-associated decline in maximal aerobic capacity in men relation to training s[...]

Übrigens gilt der Erhalt der Leistungsfähigkeit trotz altersabhängigen Rückgangs mit großer Streuung über Individuen nicht nur für die Ausdauersportarten sondern auch und gerade für die Kraftsportarten.

Anbei zur Illustration eine Abbildung aus einer Veröffentlichung über die Weltmeisterschaft der Masters im olympischen Gewichtheben. Diese zeigt nicht nur gut die Streuung über alle Altersklassen sondern auch die beeindruckende Leistungsfähigkeit selbst ganz alter Athleten im Reißen (schwarzer Kasten) und Stoßen (weißer Kasten). Wer dieses nicht glaubt, nehme sich die Leistung der zwei 70 jährigen in Abbildung b), die immerhin noch das eigene Körpergewicht reißen und lege sich selbst einmal dieses Gewicht auf die Langhantel.

Screenshot_2018-09-21 Muscle_function_in_elite_master_weightli20160327-24532-v1wde1 pdf
Hier noch eine wichtige Zusatzinformation: der Effekt des Sports auf die Verlangsamung des Alterns (und damit auf die Leistungsfähigkeit) ist auch im Alter Dosis-abhängig, d.h. wer mehr trainiert hat bessere Werte („mehr-ist-mehr“).

Zusammenfassend können wir also festhalten, das Altern zwar real ist, sich jedoch einerseits durch echtes Training (“mehr ist mehr”) verlangsamen lässt und andererseits nicht mit Bewegungsarmut und falscher Ernährung, die sich verstärkt im Alter rächt, verwechselt werden sollte.

Lebenslang Sport – Kanada’s (und meine) Definition von Breitensport

Ziel meines heutigen Blogsbeitrages ist es, kurz das kanadischen Modell für Long-Term Athletic Development vorzustellen, da es mir deutlich besser gefällt als die übliche deutsche Dreiteilung in Leistungs-, Breiten- und Gesundheitssport.

cs4l-chart-400x405-1
Quelle: sportforlife.ca

Wenn auch die Achsen nicht beschriftet sind, erschließen sie sich für mich wie folgt. Auf der x-Achse finden wir die Anzahl der Beteiligten mit Hundert Prozent der Bevölkerung als Gesamtbreite. Auf der y-Achse finden wir das nach oben steigende Alter der Athleten.

Was also sind die wichtigen Erkenntnisse des Modells:

  1. Bis zum Alter von etwa 8 Jahren schadet Spezialisierung nur und alle Kinder sollten eine Chance haben, grundlegende athletische Fähigkeiten zu erwerben (in Deutschland heute lediglich ein frommer Wunschtraum)
  2. Schritt für Schritt lernen die Jugendlichen, die sich für einen Sport entscheiden dann, was Training bedeutet (train-to-train) und werden langsam an Wettkämpfe herangeführt
  3. Die Spitze derer, die hoch-kompetitiv weiterarbeiten (train-to-compete und train-to-win) wird notwendigerweise kleiner und die aktive Karriere hat auf Weltspitzenniveau dann irgendwann im Erwachsenenalter ein Ende
  4. Daneben gibt es jedoch lebenslang eine Gruppe, die gerne einen bestimmten Sport betreiben und in diesem versuchen, jedes Jahr besser (oder ab einem bestimmten Alter langsamer schlechter) zu werden (competitive for life). Teilnahme an Wettkämpfen ist zwar nicht zwingend aber durchaus üblich
  5. Der Rest betreibt dann den eher traditionellen Gesundheitssport (active-for-life)

Diese Definition gefällt mir sehr viel besser als die Unterteilung in Leistungs- und Breitensport, da in dieser immer implizit mitschwingt, dass Breitensportler technisch wenig versiert und eher wenig ehrgeizig sind – competitive-for-life hat da einen ganz anderen Klang und ist meiner Erfahrung zum Beispiel mit Masters-Athleten sehr viel näher.

Interessanterweise ist sie damit einerseits der alten Unterteilung der DDR in Spitzen- und Volkssport sehr viel näher und ähnelt in anderer Weise auch der etwas altmodischen Definition des Amateursports (nämlich diejenigen, die im Leben noch etwas anderes zu tun haben, außer Sport zu treiben, den Sport aber durchaus Ernst nehmen können).

1.2. Fechten Lernen – Beinarbeit (Les Déplacements)

Im Deutschen und auf dem Fechtkompass als Beinarbeit bezeichnet, mag ich die französische Bezeichnung les déplacements sehr viel lieber.

Denn der Ausdruck verdeutlicht sehr viel besser, worum es hier eigentlich geht.  Nämlich den Abstand zum Gegner (die Mensur) zu verschieben (z.B. zu verkürzen, um anzugreifen oder zu verlängern und nach hinten auszuweichen).

Da es sich anders als bei der Fechtstellung (la garde) um keine statische Stellung, sondern um eine dynamische Bewegung handelt, funktionieren bewegte Bilder auch besser als stehende, deshalb am Ende ein Video zum Anschauen und Nachmachen.

Im wesentlichen gilt es die folgenden drei Bewegungen zu perfektionieren und vor allem in allen Geschwindigkeiten und Richtungen miteinander zu kombinieren (im Fechtkompass Degen Beinarbeit Nummer 2 bis 4):

  • vorwärts (la marche) : Schritt und Sprung
  • rückwärts (la retraite): Schritt und Sprung
  • Angriff (la fente): Ausfall

Was mir an dem folgenden Video besonders gut gefällt, ist das es sich hier bei Erwann Le Péchoux um einen aktuellen Top-Fechter (wenn auch im Florett) handelt, der die Bewegungen nicht nur langsam und schnell, einzeln und in Kombination zeigt, sondern sie auch noch mit echten Wettkampfszenen illustriert.

LePechouxYouTubeFootwork-1

Video hier anschauen

Wer einmal historische Gefechte aus den 80iger Jahren mit heutigen vergleicht, wird feststellen, dass alles sehr viel schneller und athletischer aussieht und der ständigen Veränderung der Mensur durch schnelle Beinarbeit dabei eine überragende Bedeutung zukommt. Trainieren der Beinarbeit ist also nicht nur etwas für Anfänger.