Lebenslang Sport – Kanada’s (und meine) Definition von Breitensport

Ziel meines heutigen Blogsbeitrages ist es, kurz das kanadischen Modell für Long-Term Athletic Development vorzustellen, da es mir deutlich besser gefällt als die übliche deutsche Dreiteilung in Leistungs-, Breiten- und Gesundheitssport.

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Quelle: sportforlife.ca

Wenn auch die Achsen nicht beschriftet sind, erschließen sie sich für mich wie folgt. Auf der x-Achse finden wir die Anzahl der Beteiligten mit Hundert Prozent der Bevölkerung als Gesamtbreite. Auf der y-Achse finden wir das nach oben steigende Alter der Athleten.

Was also sind die wichtigen Erkenntnisse des Modells:

  1. Bis zum Alter von etwa 8 Jahren schadet Spezialisierung nur und alle Kinder sollten eine Chance haben, grundlegende athletische Fähigkeiten zu erwerben (in Deutschland heute lediglich ein frommer Wunschtraum)
  2. Schritt für Schritt lernen die Jugendlichen, die sich für einen Sport entscheiden dann, was Training bedeutet (train-to-train) und werden langsam an Wettkämpfe herangeführt
  3. Die Spitze derer, die hoch-kompetitiv weiterarbeiten (train-to-compete und train-to-win) wird notwendigerweise kleiner und die aktive Karriere hat auf Weltspitzenniveau dann irgendwann im Erwachsenenalter ein Ende
  4. Daneben gibt es jedoch lebenslang eine Gruppe, die gerne einen bestimmten Sport betreiben und in diesem versuchen, jedes Jahr besser (oder ab einem bestimmten Alter langsamer schlechter) zu werden (competitive for life). Teilnahme an Wettkämpfen ist zwar nicht zwingend aber durchaus üblich
  5. Der Rest betreibt dann den eher traditionellen Gesundheitssport (active-for-life)

Diese Definition gefällt mir sehr viel besser als die Unterteilung in Leistungs- und Breitensport, da in dieser immer implizit mitschwingt, dass Breitensportler technisch wenig versiert und eher wenig ehrgeizig sind – competitive-for-life hat da einen ganz anderen Klang und ist meiner Erfahrung zum Beispiel mit Masters-Athleten sehr viel näher.

Interessanterweise ist sie damit einerseits der alten Unterteilung der DDR in Spitzen- und Volkssport sehr viel näher und ähnelt in anderer Weise auch der etwas altmodischen Definition des Amateursports (nämlich diejenigen, die im Leben noch etwas anderes zu tun haben, außer Sport zu treiben, den Sport aber durchaus Ernst nehmen können).

Geld oder Leben – Modelle für die Spitzensportförderung im Modernen Fünfkampf

„Never let a good crisis go to waste“ ist ein (wohl fälschlicher Weise Winston Churchill  zugeschriebenes) Zitat, das ausdrücken soll, das grundsätzliche Veränderungen manchmal nur nach einer Krise möglich sind.

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Ob sich die Spitzensportförderung im Moderne Fünfkampf in Deutschland wirklich in einer Krise befindet oder alle nur reflexartig nach mehr Geld fragen, sei dahin gestellt. Jedenfalls muss eine Krise nichts Schlechtes sein, da sie es ermöglicht, dringend notwendige Veränderungen durchzusetzen.

In meinem Bemühen, bei anderen nach Inspiration für solche Veränderungen zu suchen, bin ich auf zwei konkrete aber sehr unterschiedliche Modelle gestoßen:

  1. Den Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) mit unter 7,000 Mitgliedern im Jahr 2016 im Vergleich zum 115,000 Mitglieder zählenden Deutschen Verband für den Modernen Fünfkampf (DVMF). Beim BSD sprudeln nicht nur die Medaillen bei Olympia sondern auch die Gelder von Sponsoren und aus der Vermarktung der Fernsehrechte
  2. Das Norwegian Olympic and Paralympic Committee and Confederation of Sports, dem Norwegischen Spitzenverband des Sports. Als Land mit nur 5,2 Millionen Einwohnern hat Norwegen nicht nur die Medaillenwertung bei den Olympischen Winterspielen 2016 vor den Deutschen gewonnen. Sie haben dieses mit beeindruckenden 7,33 Medaillen pro einer Million Einwohner im Vergleich zu Deutschland mit „nur“ 0,38 Medaillen geschafft.

Als Empfehlung für diejenigen die sich ein wenig tiefere einlesen wollen hier dazu ein paar Artikel (und Quelle der Zitate weiter unten) sowie (m)eine Zusammenfassung:

Erfolgsfaktoren des BSD Modell: Großes Kino für Fernsehen und Sponsoren

  • Schaffung effizienter und professioneller Managementstrukturen (inklusive Putsch gegen etablierte Verbandsfürsten)
  • Bessere Inszenierung für Sponsoren (attraktive Sportstätten mit VIP Logen, zusätzliche Events wie Mitfahrgelegenheiten im Bob, an Formel 1 angelehnte Start Ampel), womit so große Namen wie Deutsche Post, Viessmann, Gazprom, Bauhaus und Liqui Moly angezogen werden konnten
  • Anpassung an Bedürfnisse der Fernsehsender (flexible Startzeiten, Wetterunabhängigkeit, Fußball-freie Zeit, Werbeflächen) mit positiver Rückkoppelung auf Attraktivität für Sponsoren

Leider fehlt mir eine tiefere Einsicht, wie hier neben den unstrittigen wirtschaftlichen Erfolgen die sportlichen sicher gestellt werden können. Doch bei einer so teuren und Technik-intensiven Sportart wie dem Bob- und Schlittenfahren helfen finanzielle Ressourcen sicher eher.

Erfolgsfaktoren des Norwegischen Modells: Breite Basis, Bescheidenheit und selbstständige Athleten-Persönlichkeiten

  • Sehr wenig Geld in der Spitzensportförderung für ein so reiches Land: “We get about the same as Britain spends on just its rowers and canoers [for the entire Summer and Winter Olympics]. Our athletes can’t get by on the grants we give them so they have to work. They are carpenters, plumbers, teachers, students.” Kristin Kloster Aagen, Vice-president of the Norwegian Olympic Committee
  • Stattdessen Fokus auf breite Partizipation auf allen Leistungsstufen über lokale Sportvereine, von denen es etwa 12,000 gibt und in denen 93% aller Kinder- und Jugendlichen engagiert sind. Betonung von gemeinsamer Freude am Sport und Persönlichkeitsentwicklung mit dem Versuch, niemanden auf dem Weg zu verlieren und kooperatives Verhalten zu fördern. „We believe there is no good explanation for why you have to be a jerk to be a good athlete. We just won’t have that kind of thing on our team.” Kjetil Jansrud, Silber- und Bronzemedaillengewinner Winterolympiade 2016
  • Förderung der Persönlichkeitsentwicklung hin zu unabhängigen, starken und „erwachsenen“ Spitzenathleten. „People [in countries such as the US] are having a discussion about specialization at 6, 7 and 8, which is an absurd discussion in Norway. It’s not like [Norwegian children] are not spending a lot of time in sport. They’re very physically active. They’re just practicing different things. They get a much broader base technically and physically than if they specialize early. There’s a 10-year high intensity period [in elite development]. If you specialize from ages 7 to 17, you might not ever get that level. If you do it from 17 to 27, you peak at the right time.” Johann Olav Koss, viermaliger Goldmedaillengewinner bei Olympia

Bedeutung für den Modernen Fünfkampf

Was können wir also aus den Beispielen für den Modernen Fünfkampf lernen? Hier mein persönliches Fazit:

  • Der Sport des Modernen Fünfkampfes selbst ist attraktiv und durch die Reformen auch für Zuschauer noch attraktiver geworden, hat also Vermarktungspotential (also ähnlich dem Bob- und Schlittensport)
  • Das Vermarktungspotenzial ist jedoch völlig unausgeschöpft, gerade was die Möglichkeit für eine leicht elitäre Positionierung als ehemaliger Offiziersport für Sponsoren angeht. Emil Beck und Mercedes im Fechten, UBS im Segelsport, Engel & Völkers im Polosport sind nur einige Beispiele, die zum Nachdenken anregen können
  • Ob ein höherer Grad der Professionalisierung und ein größerer Erfolg darin, Geld einzuwerben, wirklich das Ziel des DVMF sein soll, ist eine unabhängig zu stellende Frage (ich bin jedenfalls ein Fan des derzeitigen relativ kommerzfreien Umfeldes)
  • Norwegen zeigt das (mehr) Geld nicht einmal notwendig ist. Gerade für eine Nischensportart ist eine bessere Förderung in der Breite unersetzlich, um die wenigen Athleten, mit denen wir anfangen, nicht auch noch auf dem Weg zu verlieren. Die Förderung in der Spitze ohne die Breite zu vergraulen mit zentralen Angeboten an die Peripherie statt eines Wettbewerbsdenkens unter den bestehenden Leistungsstützpunkten gehört für mich ebenso dazu, wie ein Überdenken der Spitzensportförderung nach der Zeit auf der Sportschule und außerhalb von Polizei und Bundeswehr. Gerade in einer so viel Eigenverantwortlichkeit abfordernden Sportart wie dem Modernen Fünfkampf gibt es sicherlich viele, deren Lebenstraum über die aktive Sportlerkarriere hinaus nicht notwendiger Weise darin besteht, Soldat oder Polizist zu werden